,,In dem Bestreben, ihre Volkswirtschaften zu einigen und deren harmonische Entwicklung zu fördern, indem sie den Abstand zwischen einzelnen Gebieten und den Rückstand weniger entwickelter Gebiete verringern (STUDENT, 1998, S. 85)``
lautet ein Satz in der Präambel der 1958 in Rom unterzeichneten Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Dieses Ziel ist, obwohl es seitdem in jeden Vertrag zur EG- bzw. EU-Erweiterung mit eingeflossen ist, bei weitem noch nicht erfüllt. Im Gegenteil, die regionalen Disparitäten innerhalb der EU haben in den letzten zwei Jahrzehnten beträchtlich zugenommen und werden ständig größer.
Die EU verfügt über drei Finanztöpfe, um eine aktive Regionalpolitik zu betreiben. Den Kern der Regionalförderung bilden die Strukturfonds, von denen vier existieren, namentlich der Fonds für regionale Entwicklung EFRE, der Sozialfonds ESF, der Agrarfonds EAGFL-A und der Fischereifonds FIAF. Sie zielen darauf ab, die das Entwicklungsgefälle zwischen den Regionen zu verringern, die Beschäftigungsmöglichkeiten zu verbessern sowie die ländliche Räume zu entwickeln und zu diversifizieren. Der Kohäsionsfonds ist ein Produkt des Maastricht-Vertrages und soll die Disparitäten zwischen ganzen Volkswirtschaften abbauen. Die Mittel dienen dazu, diejenigen Länder, die weniger als 90% des EU-weiten Durchschnitts-BIP aufweisen können, darin zu unterstützen, die strengen Auflagen zur Aufnahme in die letzte Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion erfüllen zu können. Im Moment betrifft er Irland, Portugal, Spanien, Griechenland und Irland. Der Europäischen Kommission stehen unabhängig von der Zustimmung der Mitgliedsstaaten Mittel aus dem Topf der Gemeinschaftsinitiativen zur Verfügung, um Projekte finanzieren zu können, die sie flexibel zur Lösung neu auftauchender Probleme einsetzen kann. Trotz des hohen Mittelaufwands von 141 Mrd. Euro für die Jahre 1994-1999 -- 30% des gesamten EU-Haushalts -- ist es der Europäischen Union nicht gelungen, die Öffnung der Schere zwischen ,,armen``und ,,reichen`` Regionen zu verhindern. Einerseits ist der Umstand dafür verantwortlich, daß die EU-Mittel durch staatliche Institutionen der Empfängerländer geleitet werden, die sie in die vergleichsweise wohlhabenden Regionen leiten, anstatt sie den bedürftigen Regionen zukommen zu lassen. Andererseits ist die Regionalpolitik dem dominanten Ziel der Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit untergeordnet, was dazu führt, daß sich die Zentren der EU wirtschaftlich annähern, die peripheren Regionen dabei zurücklassen (STUDENT, 1998, S. 87ff.). Weiterhin tragen die ärmeren EU-Länder relativ zu ihrem Pro-Kopf-Einkommen mehr zum EU-Haushalt bei als die reicheren, so daß die EU-Regionalpolitik die Einkommensumverteilung von Arm zu Reich beschleunigt.
Auf der nationalstaatlichen Ebene kann man die EU-Staaten nach dem BIP pro Kopf in drei Gruppen einteilen. In der ersten Gruppe befinden sich Staaten mit einem Durchschnitts-BIP von mehr als 100%, namentlich Luxemburg (156%), Österreich (115%), Frankreich (112%) oder Deutschland (107%). Die zweite Gruppe bilden die Länder mit einem Pro-Kopf-BIP von knapp unter 100%, das sind z. B. das Vereinigte Königreich mit 98% oder Finnland mit 93%. Als letzte Gruppe folgen etwas abgeschlagen die Länder Spanien (77%), Irland (76%), Portugal (67%) und Griechenland (61%) (DUNFORD, 1997, S. 717). Betrachtet man die Disparitäten auf einer regionalen Ebene, so sind die Unterschiede räumlich markant verteilt. Zwischen der reichsten und der ärmsten Region besteht bezüglich des Pro-Kopf-BIPS ein Gefälle von 159%. Die zehn am wenigsten entwickelten Regionen, die allesamt in peripheren Räumen am Rand der EU liegen, erwirtschaften nur ein Viertel des BIPS der zehn reichsten. Ein Viertel aller Regionen der EU liegt mehr als 75% unter dem EU-Durchschnitt. In räumlicher Hinsicht befinden sich die wirtschaftlich erfolgreichsten Regionen der EU in einem Gürtel, der sich von London aus entlang des Rheins nach Norditalien erstreckt. Ein zweiter, nicht ganz so stark ausgeprägter Wachstumsgürtel verläuft von Nordspanien mit Barcelona als Zentrum über Südfrankreich nach Norditalien. Dieses Verteilungsmuster wird oft in Bildern wie der ,,blauen Banane`` und des ,,sun-belts`` ausgedrückt (DUNFORD, 2000, S. 203f.). Die Ursachen der starken Disparitäten liegen in der unterschiedlichen Produktivität und der Beschäftigungsrate in den Regionen. Besonders die größeren Städte profitieren von der Ansammlung an qualifizierten Arbeitnehmern, der guten infrastrukturellen Ausstattung und der Möglichkeit, Netzwerke auszubilden. Sie sind in der Lage, das vorhandene Humankapital zur Steigerung der Wirtschaftleistung zu nutzen, sich auf konkurrenzfähige High-Tech-Produkte und hochwertige Dienstleistungen zu spezialisieren und transnationale Unternehmen anzuziehen. Im Gegensatz dazu drücken die hohen Arbeitslosenzahlen der alten monostrukturierten Industrieregionen, die besonders unter der Deindustrialisierung gelitten haben, und der ländlichen Gebiete aus, das die vorhandenen Humanresourcen ungenutzt bleiben (DUNFORD, 2000, S. 212ff.). Falls diese Entwicklung in gleichem Maße wie bisher voranschreitet, werden soziale Spannungen, die Abwanderung der leistungsfähigen Bevölkerungsteile der peripheren Gebiete in die Zentren und die Abhängigkeit der Peripherie vom Tropf der EU-Fördergelder, die die einkommensstarken Regionen bereitstellen müßten, noch weiter verstärkt. Schlimmstenfalls führt dieser Trend zu vermehrtem Separatismus und Stammesdenken und zu einer Abkoppelung der wirtschaftsschwachen Regionen von der europäischen Integration, was die EU in ihren Grundfesten erschüttern würde (STUDENT, 1998, S. 93).
Die sich weiter öffnende Schere zwischen armen und reichen Regionen innerhalb der EU fällt zeitlich zusammen mit der Entscheidung, eine gemeinsame Währung einzuführen und die EU um einige Staaten des ehemaligen Ostblocks zu erweitern. Eine unabhängige europäische Zentralbank wird in ihren Grundzügen die Geldpolitik der Bundesbank, die auf den Maximen Preisstabilität und Wirtschaftlichkeit beruht, weiterführen, ihre Politik wird deshalb eine deflationäre Tendenz aufweisen. Da die EZB nur eine ,,durchschnittliche`` Geldpolitik für alle Mitgliedesländer betreiben kann, wird der Streit um eine angemessene EU-Geldpolitik an Schärfe zunehmen (SCHRÖDER, 1998, S. 177f.). Die Aufnahme von Polen, Ungarn und Tschechien oder gar eine weiträumigere Ausdehnung der EU-Grenzen in Richtung Rußland wird der EU zwar neue Absatzmärkte bescheren, allerdings ist, da das Pro-Kopf-BIP der potentiellen Aufnahmekandidaten erheblich niedriger ist als der EU-Duchschnitt, dies für die EU mit einem enormen finanziellen Kraftakt verbunden, da fast alle neu hinzugekommenen Regionen zu Ziel-1-Regionen würden, was sie berechtigt, Mittel aus den Kohäsions- und Strukturfonds zu beantragen. Da die Fonds bis dato noch nicht aufgestockt wurden, ginge dies zu Lasten der bisherigen vier Empfängerländer bzw. peripheren Empfängerregionen (DUNFORD, 2000, S. 211f.). Vor dem Hintergrund der zunehmenden Globalisierung der Wirtschaft steht die EU wohl vor der größten Bewährungsprobe ihrer Geschichte.