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Staat und Region in der EU

Wenn man von Regionen in der EU spricht, so werden meist die politischen Ebenen gemeint, die zwischen den Kommunen und dem Nationalstaat liegen und sich bemühen, eine eigene politische Rolle zu definieren. So erklärt z. B. Art. 23 GG, daß die Gestaltung des zukünftigen Europas nicht mehr nur als eine Angelegenheit der Außenpolitik des Bundes anzusehen sei, sondern der europäischen Innenpolitik. Folglich seien die Länder daran zu beteiligen. Diese Aussage der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland fand in ihren Grundzügen Einzug in den Vertrag von Maastricht, in dem das Subsidiaritätsprinzip aufgenommen und den Regionen das Recht zugebilligt wurde, Vertreter in den Europarat zu entsenden und eine Beratungsfunktion im Regionalausschuß der EU zu übernehmen (BULLMANN, EISSEL, 1993, S. 12).

In der EU existieren mehrere grenzüberschreitende Kooperationen als regionale Gebietskörperschaften. Bekanntere Zusammenschlüsse von Regionen aus verschiedenen Staaten der EU sind das EUREGIO-Projekt an der niederländischen-deutschen Grenze, der ,,Eurodistrikt`` der Städte Metz und Saarbrücken, der im Jahre 1991 gegründet wurde, oder die Kooperation von Baden-Württemberg, Katalonien, der Lombardei und dem französischen Departement Rhône-Alpes. Die Forderung nach einer verstärkten Regionalisierung der politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsstrukturen kam primär von Seiten der Industrie aus folgenden Gründen:

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Kleine und mittlere Unternehmen gewinnen einen neuen Stellenwert als Entwicklungsmotoren.

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Regionale Eigenständigkeit und europäischer Einigungsprozeß schließen sich nicht gegenseitig aus. Die Regionen können unter Umgehung zentralstaatlicher und europäischer Institutionen oft besser und angepaßter auf wirtschaftliche Problemlagen reagieren.

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Der Wettbewerb unter den Regionen soll durch eine bessere finanzielle Ausstattung mit EU-Mitteln und der Dezentralisierung von wirtschaftsrelevanten Entscheidungen der EU verbessert werden, um letztendlich die Lebensqualität der Menschen in den betroffenen Regionen eigenständig zu gestalten.

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Die endogenen Wachstumskräfte der Regionen sollen gestärkt werden (STURM, 1992, S. 31ff.).

Viele Regionen unterhalten umfangreiche Kontaktbüros in Brüssel, um eigene Kompetenzen zu sichern und sich im laufenden Strukturwandlungsprozeß der EU Gehör zu verschaffen (MURPHY, 1993, S. 111). Allerdings bringen die Regionen der EU dazu nicht die gleichen Voraussetzungen mit; sie sind aufgrund der verschiedenen Regionalisierungs- bzw. Dezentralisierungstiefen und Staatstypen der europäischen Nationalstaaten mit unterschiedlichen Kompetenzen ausgestattet. Es lassen sich vier verschiedene Staatstypen klassifizieren:

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Unitaristische Staaten (z. B. Dänemark, Griechenland, Irland oder das vereinigten Königreich): Es gibt zwar lokale Gebietskörperschaften, diese stehen aber nur auf gesetzlicher und nicht auf verfassungsrechtlicher Grundlage.

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Unitaristisch-Dezentrale Staaten (z. B. Frankreich, die Niederlande, Portugal): Sie besitzen Gebietskörperschaften, die verfassungsrechtlichen Status haben.

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Regionalisierte Staaten (z. B. Belgien, Italien, Spanien): In diesen Ländern existieren verfassungsrechtlich abgesicherte Gebietskörperschaften, die weitreichende Autonomien und Gesetzgebungsbefugnisse innehaben; der Staat ist aber nicht vollständig föderalistisch.

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föderalistische Staaten (z. B. Bundesrepublik Deutschland): Die Gebietskörperschaften haben von allen geannten Staatstypen die größte Autonomie (BULLMANN, EISSEL, S. 12ff.).

Das Prinzip der demokratischen Vertretung und Interessensrepräsentation scheint sich also langsam auch auf regionaler Ebene durchzusetzen, da bis auf Griechenland überall vom Volk gewählte regionale Versammlungen existieren, auch wenn in einigen davon, wie z. B. in Frankreich in Form der Präfekten, Vertreter des Zentralstaates über Kontrollrechte verfügen. Problematisch ist allerdings die Abhängigkeit vieler europäischer Regionen Mittelzuweisungen aus dem Haushalt des jeweiligen Nationalstaates, die die Handlungsspielräume der Regionen doch stark einschränken können. Ein Beispiel hierfür ist das Vereinigte Königreich, das zwar ein Netz aus Kommunalverwaltungen unterhalb der Regierungsebene aufgebaut hat, aber durch restriktive Mittelvergabe in den Achtzigern die Macht Westminsters gestärkt hat (BULLMANN, EISSEL, 1993, S. 13f.; DAVIDSON, 1997, S. 74).

Zusammenfassend kann man folgende große Tendenzen erkennen: Die Regionen beginnen auch in traditionell zentralistischen EU-Staaten zunehmend, im Rahmen ihrer wachsenden Möglichkeiten eine eigenständigere Wirtschaftpolitik, die von der EU geduldet und unterstützt wird, zu betreiben, die Macht des Nationalstaates ,,von unten``zu beschneiden und das traditionelle Denken in Staatsgrenzen langsam aufzulösen. Dennoch ist es illusorisch, an ein Europa ohne Staatsgrenzen zu denken. Die nationalen Identitäten der verschiedenen Staatsvölker sind nach wie vor stark, die zentralen Entscheidungsinstanzen der EU wie der EU-Ministerrat werden immer noch von Repräsentanten der Nationalstaaten besetzt.


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Thomas Korber 2001-09-06