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Die Institution ,,Staat`` -- Verlierer der Globalisierung?

Extreme Globalisierer wie OHMAE reduzieren die Kräfte, die die Weltwirtschaft formen, auf zwei Einflußgrößen. Dies sind einerseits die Kräfte der freien und vollständig liberalisierter Märkte, andererseits die transnationalen Unternehmen, die anstelle von Nationalstaaten die wichtigen Entscheidungen treffen. Den Nationalstaaten käme in diesem Konzept lediglich die Rolle von Verwaltungsbehörden im Dienste des freien Marktes zu, die keine Einflußmöglichkeit auf die entnationalisierte Wirtschaft haben und nur noch die Dienstleistungen zur Verfügung stellen, die eine globalisierte Wirtschaft von ihnen verlangt (HIRST, THOMPSON, 1999, S. 270). Da die transnationalen Unternehmen als Träger der ökonomischen Globalisierung noch ein Stück davon entfernt sind, vollständig losgelöst von territorialen Bindungen und Staatsgrenzen zu agieren, scheint das Bild, das OHMAE zeichnet, etwas überzogen.

Im Zusammenhang von Nationalstaat und Globalisierung erscheint es realistischer, von einer Umwandlung der Macht der Staaten zu sprechen als von einer Aushöhlung oder gar einem Verlust. Zwar sieht sich ein Staat heute einer Vielzahl von supranationalen Organisationen, z. B. der EU, der UNO, dem IMF und anderer Non-Governmental Organisations gegenüber, seine Möglichkeiten zur Mitbestimmung hat er aber noch nicht eingebüßt (HELD, 2000, S. 398). Globalisierung präsentiert sich als ein Phänomen, das zwar das Territorium als solches relativ unberührt läßt, das aber merkliche Auswirkungen auf die Territorialität, d. h. auf das institutionelle System eines Staates hat (SASSEN, 2000, S. 372) und die klassische Trennung von Innen- und Außenpolitik aufhebt.

Durch Deregulierungsmaßnahmen in den letzten zwanzig Jahren hat sich der Einfluß des Staates auf die globalen wirtschaftlichen Aktivitäten verändert, wobei ,,Deregulierung`` nicht einfach eine Trennung zwischen globalen Akteuren wie TNCs oder Märkten und und einem Staat bedeutet, sondern eine Interaktion, in der neue institutionelle Formen geschaffen oder alte umgewandelt werden. So sind die Zentralbanken in einigen Staaten durch ein dichtes Netz aus Regularien von der Exekutive getrennt, aber trotzdem zu wichtigen ,,global players`` geworden. Ebenso hat sich die wirtschaftliche Aktivität in einem gewissen Rahmen entnationalisiert, was aber nicht heißt, daß die Nationalstaaten ihren Einfluß vollständig verloren hätten, da sich globale wirtschaftliche Prozesse innerhalb eines Territoriums und daher durch nationale Institutionen und Regulationsmechanismen hindurch materialisieren, was z. B. die Bedeutung der Finanzministerien in den Staaten gestärkt hat. Weiterhin bewirkt die zunehmende Internationalisierung der Geschäftaktivitäten der TNCs eine Konzentration der Kommando- und Kontroll- und damit der strategischen Funktionen gerade in den hochentwickelten OECD-Ökonomien, die über ein auspeprägtes System an Regularien verfügen (SASSEN, 2000, S. 374ff.). Diese effektiv zu überwachen, ist angesichts der technischen Entwicklung auf dem Gebiet der Informationstechnik für die Staaten schwierig geworden. Dies gilt insbesondere auch für das Kontinuum der internationalen Finanzwelt, das mittlerweile die Macht hat, regulatorische Maßnahmen von ganzen Staatengruppen beispielsweise auf dem Währungsmarkt auszuhebeln.

Dennoch erfüllen die Nationalstaaten einige wichtige Funktionen, auf die eine globalisierte Wirtschaft nicht verzichten kann und die sie auch nicht selber übernehmen könnte. Einerseits ist der Nationalstaat diejenige Instanz, die die Autorität über die jeweilige Bevölkerung, die weitgehend immobil ist, innehat und auf deren Legitimation sich ein Staat berufen kann, sofern er demokratisch ist; er hat in einer Brückenfunktion die Aufgabe, als Bindeglied zwischen supranationalen Institutionen, die er selbst durch Aufgabe bzw. Verlagerung von Macht bildet und stärkt, diese vor der Bevölkerung zu repräsentieren; andererseits besitzt der Nationalstaat die gesetzgebende Gewalt innerhalb seines Territoriums, der sich sowohl die Bevölkerung als auch die transnationalen Firmen beugen müssen, sofern letztere nicht die Möglichkeit haben, den Standort komplett ins Ausland zu verlagern, was die Steuerbasis des jeweiligen Staates schmälern würde. Schließlich garantiert der Nationalstaat mit seinem Justiz- und Polizeiapparat und seiner militärischen Macht die Sicherheit und Unantastbarkeit des Eigentums der TNCs und die Freiheit der Märkte (HIRST, THOMPSON, 1999, S. 274ff.). Insbesondere hat der Kapitalismus ein großes Interesse daran, daß der Staat die ,,dangerous classes`` mit repressiven oder beschwichtigenden Maßnahmen im Zaum hält, damit er die Möglichkeit hat, Kapital zu akkumulieren (WALLERSTEIN, 2000, S. 262).

Alles in allem kann man also keinesfalls davon sprechen, daß das Konzept des Nationalstaates, auch wenn die Landesgrenzen in ökonomischer Hinsicht an Bedeutung verloren haben, überholt ist.


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Thomas Korber 2001-09-06