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Die neue Migration -- Offenheit 1. und 2. Klasse?

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat die internationale Wanderungshäufigkeit wieder zugenommen. Waren in den Jahrzehnten vor 1945 die westeuropäischen Länder Ursprungsländer von Migrationsbewegungen in die jeweiligen Kolonien und in die USA, hat sich die Richtung der Wanderungen ab den sechziger Jahren umgekehrt. Heute stammen die meisten Migranten aus unterentwickelten Ländern mit dem Ziel Europa. Im Falle der USA als ,,klassischem`` Einwanderungsland hat nach einer etwa dreißigjährigen Unterbrechung die Einwanderungshäufigkeit ebenfalls wieder zugenommen. Allerdings besteht der Großteil der Einwanderer aus Arbeitsmigranten, die nur temporär in den USA bleiben dürfen, während in den Einwanderungswellen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts Familien die Masse der Immigranten bildeten. 1992 gab es etwa 100 Millionen Migranten, wovon etwa 20 Millionen Flüchtlinge und 30 Millionen Gastarbeiter waren. Wenn man allerdings bedenkt, daß diese 100 Millionen zum damaligen Zeitpunkt nur etwa 1,7% der Weltbevölkerung ausmachten, liegt die Schlußfolgerung nahe, daß der weitaus größte Teil der Weltbevölkerung in seinem Ursprungsland bleibt (HIRST, THOMPSON, 1999, S. 22f.).

Die Einwanderungspolitik der entwickelten Ländern steht zunehmend im Widerspruch zu ihrer Wirtschaftpolitik. Obwohl sie in den letzten Jahrzehnten eine steigende Zuwanderung legaler und illegaler Immigranten zu verzeichnen haben, sind sie nicht in der Lage, eine effektive Zuwanderungspolitik zu entwickeln und umzusetzen. Diese versteht Zuwanderung als ein Phänomen, das von den Migranten selbst verursacht wird, das an den Ländergrenzen beginnt und seine Ursachen nicht in den Ursprungsländern der Migration hat, weshalb auf das Mittel verstärkter Kontrollen auf Flughäfen, Grenzübergängen und -regionen gesetzt wird. Im Gegensatz dazu öffnen sich die westlich orientierten Staaten immer mehr dem freien Fluß von Kapital, Gütern und Information und rücken von der Betonung politischer und staatlicher Grenzen ab (SASSEN, 1995, S. 110f.).

Zwei Mechanismen steuern die Zuwanderung aus den peripheren Ländern in die Länder des Zentrums der Weltwirtschaft. Der politische Rückzug der Länder Westeuropas aus ihren Kolonien in der Dritten Welt veranlaßte mehrere Millionen Europäer, in ihre jeweiligen Heimatländer zurück zu wandern. Ihnen folgten Millionen Menschen aus Afrika, Asien und der Karibik aufgrund der dortigen schlechten Lebensverhältnisse. Die Zuwanderung erfolgte nicht willkürlich. Die Migranten bevorzugten die Mutterländer der jeweiligen Kolonialmacht. So wanderten die meisten Pakistanis, Inder und Bengalen nach Großbritannien aus, während die auswanderungswilligen Menschen aus dem Mahgreb nach Frankreich gingen und diejenigen aus Surinam und Indonesien in die Niederlande MÜNZ, 1996, S. 178). Die Einwanderungsströme der sechziger Jahre in die USA sind eng mit dem politischen und militärischen Engagement der Vereinigten Staaten in Asien und der Karibik sowie der Öffnung der US-Wirtschaft gegenüber einer internationaler werdenden Wirtschaft verwoben. Es wählten zwar nur 27% aller emigrierenden Asiaten die USA als Zielland, davon gingen aber 81% aller Koraner und nahezu alle Phillipinos in die USA. Ebenso kamen 52% aller Emigranten aus El Salvador und fast 100% der auswanderungswilligen Jamaikaner, Mexikaner und der Einwohner von Hispaniola in die USA (SASSEN, 1995, S. 112f.). Der Fall des Eisernen Vorhangs und die Auflösung der UdSSR erzeugten neue Migrationsströme aus Osteuropa in Richtung Westen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken in Richtung Rußland (MÜNZ, 1995, S. 177).

Der zweite Mechanismus umfaßt das Feld der Arbeitsmigration. Der zusätzliche Bedarf an billigen Arbeitskräften im Westeuropa der ersten Nachkriegsjahrzehnte setzte, begünstigt durch regelrechte Anwerbekampagnen, etwa dreißig Millionen Meschen in Bewegung. Die wichtigsten Zielländer sind Deutschland mit etwa sieben Millionen, Frankreich mit 3,8 Millionen, Großbritannien mit 2 Millionen, die Schweiz mit 1,2 Millionen und die Beneluxstaaten mit etwa 1,8 Millionen Ausländern. Auch bei der Arbeitsmigration bevorzugten die Immigranten, falls sie aus ehemaligen Kolonien stammten, die jeweiligen Mutterländer. Im Falle der Türken und Kurden, Griechen und Ex-Jugoslawen lebt der größte Teil in Deutschland. Die von den Ausländern eingenommenen Arbeitsplätze finden sich zumeist am unteren Ende der beruflichen und sozialen Hierarchie, verdrängten teilweise die einheimische Bevölkerung oder übernahmen Segmente, die von der einheimischen Bevölkerung freiwillig aufgegeben wurden. Gleichzeitig besetzen die Zuwanderer einen Teil des Teilzeitarbeitsmarktes, verschiedene Dienstleistungen mit geringerer Wertigkeit wie Gastronomie- oder Hotelgewerbe und einen wachsenden informellen Sektor. Ausländer sind zumeist in un- bzw. angelernter Position tätig und schaffen es im Vergleich zur einheimischen Bevölkerung seltener, in der Arbeitshierarchie aufzusteigen. Ebenso sind sie stärker von Rationalisierungsmaßnahmen und folgender Arbeitslosigkeit betroffen (MÜNZ, 1995, S. 180ff.). Auch am oberen Ende der Arbeitshierarchie ist ein überproportionaler Anteil an Migranten beschäftigt. Hierbei handelt es sich um Manager von transnationalen Unternehmen, Wissenschaftler, Techniker, Künstler und andere hochbegabte Menschen. Im Unterschied zur Masse der Immigranten sind sie, obwohl sie mit einheimischen Fachkräften um hochbezahlte Jobs und gute Wohnlagen konkurrieren, kaum Ziel der in großen Teilen der Bevölkerungen in den entwickelten Ländern herrschenden Fremdenfeindlichkeit. Sie sind Ausdruck des brain drains, das die ökonomische Entwicklung der Staaten Osteuropas und der Dritten Welt stark hemmt. Durch die internationale Migration entstehen netzwerkartige Strukturen zwischen den Usprungs- und Aufnahmeländern, über die nicht nur Informationen, sondern auf beträchtliche Geldsummen zurück in die Heimatländer fließen, die dort zu einer Stabilisierung und Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse beitragen. Häufig steuern die ausgewanderten Personen einen großen Teil der Unterhaltskosten für zurückgebliebene Familienangehörige bei. Diese Netzwerke bestimmen auch das Zielland für neue Wanderungsbewegungen wie in jüngster Zeit die Migration von Kriegsflüchtlingen aus dem Balkan, deren überwiegender Teil in die nächstgelegenen westeuropäischen Staaten emigriert ist (MÜNZ, 1996, S. 182f.).

Trotz der stark gesunkenen Nachfrage nach ausländischen Arbeitskräften und einer wachsenden Zahl xenophobischer Übergriffe wird der Migrationsstrom in die hochentwickelten Länder aufgrund der wachsenden Internationalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft anhalten, der, wie häufig von der Öffentlichkeit übersehen wird, entscheidend dazu beiträgt, daß die Alterung und die Schrumpfungserscheinungen aufgrund des vollzogenen demographischen Übergangs besonders in Westeuropa verlangsamt werden.


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Thomas Korber 2001-09-06