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Die global cities

Abbildung: Hierarchie der Weltstädte
(Quelle: KULKE, 1999, S. 14)
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Der global city-Ansatz ist ein Entwicklungsmodell, das vom finanzindustriellen Sektor ausgeht und Städte nicht nur als Zentralen der globalen Ökonomie mit umfangreichen Steuerungs- und Kontrollfunktionen, sondern auch als Orte eines kosmopolitischen Milieus der Dienstleistungsgesellschaft und der Ausprägung einer neuen sozialen Klassifikation sieht. Global cities sind die Knotenpunkte in der Bildung neuer Netzwerke. Das Konzept ist seit Anfang der achtziger in der Diskussion und bringt eine neue Verteilung zwischen Streuung und Zentralisation hervor. Die globale Wirtschaft hat Bedarf nach einer Bündelung ihrer Kontroll- und Steuerungsfunktionen, die sich im Gegensatz zur größer werdenden Dezentralisation der Produktion in den global cities um so mehr konzentrieren, je bedeutender deren Funktion in der globalen Ökonomie ist. Die headquarter-Ökonomie wird nicht durch Ländergrenzen von Nationalstaaten definiert, sondern durch ökonomische, kulturelle und politische Beziehungen innerhalb eines inernationalen Städtesystems. Drei Komponenten definieren diese Städte: Erstens muß die Funktion als ökonomische Kommandozentrale gegeben sein. Zweitens muß eine Stadt einen bedeutenden Markt für führende Industrien besonders der Finanz- und Dienstleistungswirtschaft sein, und drittens muß die Stadt einen hohen Stellenwert in der Produktion jener Dienstleistungsgüter haben (NOLLER, 1999, S. 118f.). Die reine Größe einer Stadt nach der Bevölkerungszahl spielt für ihre internationale Bedeutung nur eine geringe Rolle (KORTE, MÄTTIG, 1996, S. 127). Das Netz der global cities, hierarchisiert in primäre und sekundäre Zentren, zeigt Abbildung 9 (S. [*]). Zu den primären Zentren in der global city-Hierarche zählen Städte mit höchstrangigen, globalen Kontroll-, Finanz- und Dienstleistungsfunktionen wie New York, Tokio oder London. Sekundäre Zentren haben bezüglich ihrer Funktionen einen geringeren Stellenwert.

Die global cities benötigen zur Produktion der hochwertigen Güter der Dienstleistungsindustrie ein Netz aus spezialisierten Anbietern komplementärer Dienstleistungen. Hierzu zählen z. B. Versicherungen, Softwareunternehmen, Anbieter von Informations- und Netzwerktechnik oder Wirtschaftsberater, Forschungseinrichtungen und Universitäten, Brokerfirmen oder Banken. Zusätzlich werden neben urbanen infrastrukturellen Einrichtungen gute Kommunikations- und Verkehrsverbindungen benötigt. Die räumliche Konzentration hochrangiger Kontroll- und Koordinationseinrichtungen der Weltwirtschaft erleichtern den Konzernmanagern der transnationalen Unternehmen, die ihre Firmensitze zumeist in den global cities haben, die Aufgaben der Interaktion, d. h. des Pflegens von Vertrauensverhältnissen, des Knüpfens neuer Geschäftskontakte oder des Sammelns von Informationen, und der Innovation, womit die Entwicklung und Vermarktung von neuen Produkten und Dienstleistungen gemeint ist (SASSEN, 1994, S. 66f., NOLLER, 1999, S. 120f.).

Die Sozialstruktur einer global city ist durch eine sich verschärfende Polarisierung zwischen Arm und Reich gekennzeichnet. Auf der einen Seite bietet sie einen Arbeitsmarkt für hochqualifizierte Arbeitnehmer, die als politische und ökonomische Führungselite über sehr gute Einkommen verfügen, in den besten städtischen Vierteln wohnen und in ihrer Lebensweise und -einstellung global orientiert sind. Sie treten häufig in Kontakt zu Menschen anderer ethnischer Zugehörigkeit und beherrschen eine oder mehrere Fremdsprachen. Sie wechseln häufiger ihren Arbeitsplatz, der in mehreren Erdteilen liegen kann, und sind von den Sorgen der Mehrheit der Bevölkerung wie Steuerbelastung, Wohnungsnot oder Kindergartenplatzmangel nicht betroffen, sehen den Konsens der nationalen Solidargemeinschaft eher als Belastung an (KORTE, MÄTTIG, 1996, S. 122f.). In den Städten erhöhen sie die Nachfrage nach anspruchsvollen Wohnungen, Kultur- und Konsumgütern und erzeugen eine Markt für arbeitsintensive Dienstleistungen, die die Mitglieder der Führungseliten nicht selbst übernehmen wollen, z. B. die Erledigung der Einkäufe, Kindererziehung, Kranken- oder Altenpflege. Demgegenüber steht eine zahlenmäßig weitaus größere Anzahl von Menschen, die zur Mittelschicht gehören und Tätigkeiten nachgehen, die eine geringere Qualifikation erfordern. Diese Mittelschicht ist weniger ,,global`` als vielmehr ,,national`` geprägt. Während sich die obere Mittelschicht in ihrem Denken und Handeln eher an der politisch-ökonomischen Elite orientiert, steht der Großteil der Mittelschicht den Globalisierungstendenzen skeptischer gegenüber und sieht sich im internationalen ökonomischen Wettbewerb mit anderen Nationen. Die vorrangigste Sorge ist der Erhalt des eigenen Arbeitsplatzes. Unter der Mittelschicht befindet sich die Gruppe von Menschen, die vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen oder nur teilweise integriert sind. Sie überbetonen ihre nationale Zugehörigkeit, da sie häufig in direktem Wettberwerb mit Menschen anderer ethnischer Zugehörigkeit stehen (KORTE, MÄRTIG, 1996, S. 124ff.). Sie bevölkern jene Viertel in den Städten, die als soziale ,,Abschiebe-Center`` (KRÄTKE, 1995, S. 210) für verarmte und Immigranten gelten. Diese Viertel sind der Gegenpol, das ,,Ghetto``, zur ,,Zitadelle``, den gehobenen Wohngegenden und den Büro- und Geschäftsvierteln und der städtische Ausdruck des wachsenden Gefälles zwischen Arm und Reich auf globaler Ebene (KRÄTKE, 1995, S. 210.).


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Thomas Korber 2001-09-06